Agrarpolitik
Auflösung der Gutsbezirke
Bearbeitet von Peter WeidelDer größte Teil der selbstständigen Gutsbezirke lag in den östlichen Regionen von Preußen. Es gab in den Güterdistrikten weite Gebiete, meist adligen Großgrundbesitz, in denen der Gutsherr allein alle kommunalen Befugnisse einschließlich der Gerichtsbarkeit und der polizeilichen Gewalt ausübte. An der politischen Macht der Großgrundbesitzer, die sich auch in der zunächst ständischen Verfassung der Kreistage und des Provinziallandtages niederschlugen, kam man an Ausschussberatungen in der Zeit von 1867 und 1892 nicht vorbei. Es erhielten alle die Güter Gutsbezirkseigenschaften, mit deren Besitz ursprünglich obrigkeitliche Rechte verbunden gewesen waren. Dank dieser Sonderrechte war die Stellung des Gutsherrn in seinem Gutsbezirk unvergleichlich stark, die durch seine wirtschaftliche Macht gegenüber den Bewohnern seines Einflussbereiches noch verstärkt wurde und ihn unabhängig gegenüber dem politischen Tagesgeschehen machte. In den Gutsbezirken gab es keine parlamentarische Selbstverwaltung, kein Mitspracherecht einer gewählten Gemeindevertretung. Hier kamen dem Gutsbesitzer oder den von ihm beauftragten Handlungsbevollmächtigten die Rechte und Pflichten zu, die sonst eine Landgemeinde in öffentlich- rechtlicher Beziehung zu erfüllen hatte.
Revolution schafft Reformen
Dass diese Zwitterstellung auf Dauer anachronistisch wirkte, wurde selbst im konservativen Preußen eingesehen. Bei den anstehenden Beratungen zur Landgemeindeordnung 1892 konnten sich Bestrebungen, die Gutsbezirke mit den Landgemeinden zu einer vernünftigen Einheit zu verbinden, noch nicht durchsetzen. Hierzu bedurfte es erst der Revolution von 1918 und der grundlegenden Änderung der politischen Machtverhältnisse im preußischen Staat. Ein Aufruf der preußischen Regierung an das Volk kündigte die Auflösung der Gutsbezirke schon am 13. November 1918 an. Aber erst das Gesetz vom 27. Dezember 1927 konnte diese Zusage erfüllen und dieses längst überfällige Relikt konservativer Herrschaftsstrukturen beseitigen. In Paragraph 11 dieses Gesetzes hieß es: „die bestehenden Gutsbezirke sind aufzulösen“. Nachdem alle zuständigen Gremien die Auflösungen der Gutsbezirke beschlossen hatten wurden diese zu neuen Gemeinden zusammengelegt oder in schon bestehende Gemeinden eingeordnet. Die Vereinigung eines Gutsbezirk oder Teile von aufgelösten Gutsbezirken mit einer bestehenden Landgemeinde hatte den Vorteil, dass unmittelbar nach der Auflösung des Gutsbezirkes bereits ein Rechtsnachfolger und somit geordnete parlamentarische Organe vorhanden waren. Der Gemeindevorsteher und die Gemeindevertretung derjenigen Gemeinde, mit der ein Gutsbezirke oder für die neu hinzukommenden Gebietsteile vereinigt wurde, waren zuständig für die neu hinzukommenden Gebietsteile. Die kommissarische Einsetzung der Gemeindevorsteher und ihrer Stellvertreter erfolgte nur bis zur Neuwahl dieser Vertretungen am 2. Dezember 1928. In einigen der so neu gebildeten Gemeinden sollten die Repräsentanten des Landarbeiterverbandes im Verein mit den Sozialdemokraten eine derart dominierende Rolle im Gemeindeleben spielen, dass es ihnen teilweise gelungen ist, ihre Stärke zu behalten. Leider sollte der Bestand vieler 1928 geschaffener Gemeinden nur von einer sehr kurzen Dauer sein. In den Jahren bis 1932–1939 wurden von den Nationalsozialisten viele Gemeinden zusammengelegt und nach 1945 nicht wieder aufgelöst.
Quelle: Brandt, Hans-Heinz; Die Entwicklung einer Gewerkschaft im Ländlichen Raum,Schmalz, Helmut; Agrarpolitik ohne Scheuklappen, Bund Verlag Köln