Soziale Absicherung
Benachteiligungen der Landarbeiter im Arbeits- und Sozialrecht am Beispiel der Arbeitslosen- und Rentenversicherung der Landarbeiter
Bearbeitet von Peter Weidel1909 begann der organisierte gewerkschaftliche Kampf für ein modernes Arbeits- und Sozialrecht der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer. Leistungen und Aufgabe der Landarbeitergewerkschaften auf diesem wichtigen Gebiet können nur dann voll gewürdigt werden, wenn man von der Lage ausgeht, in der sich die ländlichen Arbeitnehmer 1909 befanden. Ausgangspunkt war ein wesentlich schlechteres Recht für die Landwirtschaft. Ziel musste sein, die völlige rechtliche Gleichstellung der Arbeitnehmer auf dem Lande durchzusetzen. Der Arbeitsvertrag der Arbeiter im Gewerbe und Industrie wurde durch die Reichsgewerbeordnung von 1869 geregelt, die zwar weit vom Ideal einer gesetzlichen Regelung des Arbeitsverhältnisses entfernt war. Sie stand aber turmhoch über den veralteten Rechtsgrundsätzen einer preußischen Gesindeordnung. Ihre Schutzbestimmungen verhinderten eine derart maßlose Ausbeutung der Arbeitskraft außerhalb der Landwirtschaft. Nach der Neugründung der Gewerkschaften ab 1945 war die Beseitigung von Benachteiligungen der land- und forstwirtschaftlichen Arbeitnehmer und ihre Gleichstellung mit den Arbeitnehmern der übrigen Wirtschaft eine der wichtigsten Aufgaben der neu gegründeten Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft.
Einige Anmerkungen zur Rentenversicherung
1957 trat die große Rentenreform in Kraft, die für alle Arbeitnehmer eine wesentliche Verbesserung ihrer sozialen Sicherung brachte. Auf die eigene Lebensleistung bezogene, individuelle, am Durchschnitt aller Versicherten bemessene Renten, die auch künftig der Entwicklung der Löhne angepasst werden sollten, brachten grundsätzlich eine dauernde Absicherung des einmal erreichten Lebensstandards. Für die Landarbeiter bedeutete das allerdings auch, dass ihre vergleichsweise niedrigen Einkommen der Vergangenheit auch zu geringen Renten in der Zukunft führen mussten. Dieser Effekt wurde noch verstärkt durch die Unterbewertung der Sachbezüge, die früher häufig den größten Teil des Lohnes ausmachten, die aber vielfach gar nicht oder dort, wo ordnungsgemäß abgerechnet wurde, nur mit fiktiven Werten, die weit unter dem tatsächlichen Wert lagen, zur Beitragsberechnung herangezogen wurden. Zwar war schon bei der Rentenreform erreicht worden, dass für Zeiten mit Sachbezügen oder Kost und Wohnung ein Zuschlag von 10 % zur umgestellten Altersrente gewährt wurde, wenn mindestens 10 Jahre Sachbezüge gewährt worden waren und dass dieser Zuschlag auch ohne die Zehnjahresgrenze, so vom Bundessozialgericht entschieden, auf die Entgelte von Renten nach neuem Recht zu gewähren war. Das reichte bei weitem nicht aus. Mithilfe von zahlreichen Rentenunterlagen, konnte die Benachteiligung nachgewiesen werden und in einer Härtenovelle wurde 1965 dann eine Entgelttabelle nach drei Leistungsgruppen eingeführt, die der Rentenberechnung zugrundegelegt wird, wenn die nachgewiesen Entgelte geringer sind.
Arbeitslosenversicherung
In einer Dokumentation der GGLF und der Agrarsozialen Gesellschaft in Göttingen wird zur Arbeitslosenversicherung der Landarbeiter zusammenfassend folgendes festgestellt:
Im Vorgängergesetz, dem damaligen Arbeitslosenvermittlungs- und Arbeitslosenversicherungsgesetz gab es negative Ausnahmebestimmungen für landwirtschaftliche Arbeitnehmer. So waren bestimmte Gruppen von Landarbeitern überhaupt nicht versicherungspflichtig und Nebenerwerbslandwirte waren versicherungsfrei und das schon bei einem fiktiven Ertragswert von 4.800 DM. Sie erhielten bei Arbeitslosigkeit keine Leistungen, konnten aber von dem Nebenerwerb auch nicht leben. In einem ersten Schritt wurde 1965 der Ertragswert auf 7.200 DM erhöht und zwei Jahre später die Versicherungspflicht für alle landwirtschaftlichen Arbeitnehmer eingeführt. Damit wurde die endgültige Gleichstellung der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer erreicht. Vor dieser Neuregelung hatte man den Landarbeitern von jeher eine Sonderstellung in der gesetzlichen Pflichtversicherung gegen Verdienstausfall bei Arbeitslosigkeit eingeräumt. Das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung von 1927 befreite die landwirtschaftlichen Arbeitnehmer von der Versicherungspflicht. Für die Betroffenen ein Rückschritt in alte Ausnahmeregelungen. Zur Begründung dieser Ausnahmeregelung wurde auf die Besonderheiten der landwirtschaftlichen Arbeitsverfassung hingewiesen. Dem damaligen, noch vorherrschenden Typ des bodenständigen Deputatarbeiters glaubte man ein Schutzbedürfnis nicht zusprechen zu müssen. Ebenso sah man in der festen Bindung der Gesindearbeitskräfte an die bäuerliche Familie eine ausreichende Sicherung gegen Verdienstausfälle. Erst am 20. Oktober 1947 wurde in den so genannten Westzonen Deutschlands ein Gesetz zur Änderung der bestehenden Rechtslage erlassen, damit wurde die landwirtschaftliche Arbeitslosenversicherung neu geregelt. Mitte 1954 gab es in der Bundesrepublik 460.000 Personen, die aufgrund bestehender Gesetzesregelungen von der Arbeitslosenversicherung befreit waren. Dazu gehörte die Hälfte aller Land- und Forstarbeiter. 1955 wurde von der damaligen Bundesregierung dem Bundestag der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung zugeleitet. Dieser Entwurf soll die „Rechtseinheit“ wieder herstellen und für die Land- und Forstwirtschaft entscheidende Änderungen regeln. In ihrer Stellungnahme zum Entwurf erklärte die Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft unter anderem: Es wird darauf hingewiesen, dass es gegenüber der Situation von 1927 sehr wohl eine Arbeitslosigkeit gibt und dass eine große Anzahl Flüchtlinge ohne ausreichende Existenzgrundlage sind. Die Gewerkschaft verweist darauf, dass die Ausnahmeregelungen für Landarbeiter aus rechtlichen und moralischen Gründen abzuschaffen seien, weil sie eine Herabwürdigung des Berufsstandes bedeuten. Weil die vorliegende Novelle die so genannte ½ Jahresbestimmung für Landarbeiter mit eigenen Wirtschaft fallen lässt, sei sie als noch schlechter anzusehen, als die bisherige Regelung. Auch sei die allgemeine Versicherungspflicht deshalb zu verlangen, weil die Arbeitskräfte, insbesondere die Jugendlichen, im Falle der Arbeitslosigkeit sofort aus der Landwirtschaft abwandern. Von der Arbeitgeberseite wird darauf hingewiesen, dass stets ein Mangel an Landarbeitern bestehe und daher kein Bedürfnis nach Arbeitslosenversicherung vorhanden sei.
Zusammenfassende Würdigung
Der Entwurf der Bundesregierung brachte einige wesentliche neue Regelungen. Die generelle Befreiung der Gesindearbeitskräfte und damit eine alte Ausnahmeregelung waren weggefallen. Die Tatsache, dass die Gesindearbeitskräfte ganz oder überwiegend zum Arbeitsplatzwechsel gezwungen waren, sobald sie heiraten wollen, schwächte das Argument von der nicht gegebenen Bedürftigkeit stark ab. Außerdem muss darauf hingewiesen werden, dass die Möglichkeit bestand, sich durch den Abschluss langfristiger Verträge von der Versicherungspflicht zu befreien. Praxis war aber, dass man sich scheute, solche langfristigen Bedingungen einzugehen, daher war auch der Versicherungsschutz notwendig. Der Entwurf stellte in Rechnung, dass die Entwicklung zu einer immer weitergehenden Ablösung des Naturallohnes in der Landwirtschaft geführt hat. Deshalb war auch die Versicherungsfreiheit bei Naturalbezug nicht mehr vorgesehen. Landwirtschaftliche Arbeitnehmer sollten in Zukunft nur dann versicherungsfrei sein, wenn sie schriftlich ein langfristiges Arbeitsverhältnis eingegangen waren, daneben war auch weiterhin die Versicherungsfreiheit solcher Arbeitnehmer vorgesehen, die eigene oder fremde Grundstücke nutzten, und durch deren Ertrag ihren Lebensunterhalt gewährleisteten. Die Bemessung des gewährleisteten Lebensunterhaltes durch Verordnung kam allerdings einer Bedürftigkeitsprüfung gleich und war durch nichts gerechtfertigt. Von diesem Vorhaben wurde dann auch Abstand genommen.
Zusammenfassend kann auch für die Arbeitslosenversicherung aus heutiger Sicht festgestellt werden, dass es gesetzliche Benachteiligungen für landwirtschaftliche Arbeitnehmer nicht mehr gibt.
Materialien zur Frage der sozialen Sicherheit –Eine Untersuchung der Agrarsozialen Gesellschaft Göttingen, von 1955