Tarife / Tarifverträge

Der Arbeitsvertrag (Kontrakt) als Mittel zur Ausbeutung im 19. Jahrhundert

Bearbeitet von Christian Koch

Bil­de­ten Gesinde‑, Ord­nung, Dienstat­tes­te, Gesin­de­bü­cher und Dienst­bo­ten­ver­bes­se­rungs­ver­ei­ne jenes Herr­schafts­in­stru­men­ta­ri­um, das Jun­ker, Groß- und Mit­tel­bau­ern zu öko­no­mi­scher Aus­beu­tung und poli­ti­scher, recht­li­cher und mensch­li­cher Unter­drü­ckung ihres Gesin­des ein­setz­ten, so stell­te der Kon­trakt das wich­tigs­te Mit­tel zur Aus­beu­tung und Knech­tung ihrer Depu­tat-Land­ar­bei­ter dar. Sofern der­sel­be münd­lich abge­schlos­sen wur­de, was im Unter­su­chungs­ge­biet wohl etwa bis in die 50er Jah­re des 19. Jahr­hun­derts hin­ein die Regel gewe­sen sein mag, dürf­te er inhalt­lich aller­dings zunächst noch kaum mehr ent­hal­ten haben als Über­ein­künf­te über die all­ge­mei­nen Arbeits­be­din­gun­gen, über die Art und Höhe des Depu­tats wie des Loh­nes über­haupt, über die Gel­tungs­dau­er u.ä. Kon­trak­te in schrift­li­cher, das heißt in auch juris­tisch beweis­kräf­ti­ger Form abzu­fas­sen, dürf­te vor allem seit Erlass des Dienst­pflicht­ver­let­zungs­ge­set­zes vom 24. April 1854 üblich gewor­den sein, da nun, auf die­ser Grund­la­ge, wie noch zu zei­gen sein wird, kon­trakt­brü­chi­gen Arbei­tern, ein­schließ­lich dem Gesin­de straf­recht­li­che Ver­fol­gung drohte.

Kontrakt mit Strafbestimmungen

Im Zusam­men­hang damit wur­de also allein schon die Schrift­lich­keit eines Kon­trak­tes, die unter die­ser Bedin­gung haupt­säch­lich im Inter­es­se des Unter­neh­mers lag, zum Herr­schafts­in­stru­ment. Dar­über hin­aus gin­gen die Unter­neh­mer ver­schie­dent­lich sogar noch einen Schritt wei­ter, und zwar der­ge­stalt, dass sie bereits in den Kon­trakt selbst Straf­be­stim­mun­gen auf­nah­men. Für die Pro­vinz Sach­sen ist ein der­ar­ti­ger „Mieths­con­tract mit den Dre­schern“ aus dem Jah­re 1862 überliefert.

Er stammt von dem Domä­nen­päch­ter Hay­ner zu Stroh­wal­de bei Grä­fen­hai­ni­chen im Reg.-Bez. Mer­se­burg. Außer zahl­rei­chen Ver­bo­ten wer­den die Depu­tat-Land­ar­bei­ter dar­in mit fol­gen­den Stra­fen bedroht: § 11 Abs. 1: “Wer bei irgend­ei­ner Art Arbeit betrun­ken oder ange­trun­ken betrof­fen wird, oder wegen Trun­ken­heit nicht zur Arbeit kom­men kann, wird außer mit dem Ver­lust des Loh­nes für Ver­säum­niß und man­gel­haf­te Arbeit mit zwei Sgr. für jeden Fall bestraft.” Abs. 2: “Zank und Strei­tig­kei­ten unter sich haben die Dre­scher und deren Frau­en zu mei­den; wenn sol­ches bei der Arbeit geschieht und der Streit nach erfolg­tem Ver­bot irgend­ei­nes Auf­se­hers oder des Vor­mä­hers nicht auf­hört, wird jeder der Strei­ten­den mit 1  Sgr. bestraft. […]”

Außer­dem war dem Kon­trakt noch ein „beson­de­res Regle­ment […] über das Ver­hält­nis der Dre­scher unter sich in Bezug auf den Vor­mä­her” ange­fügt. Dar­in hieß es: „1) Beim Mähen muß sich jeder zur ver­ab­re­de­ten Zeit ein­stel­len, wer zu spät kommt und der Vor­mä­her hat bereits sein Schwad durch­ge­hau­en, zahlt der Mann 1 Sgr. und die Frau 6 Pfen­nig. 2) Ist die­sel­be Stra­fe beim Umman­deln des Getrei­des fest­ge­setzt […] 6) Wer beim Dre­schen zu spät kommt, so dass schon ein­mal durch­ge­dro­schen ist, ver­liert am Dru­schlohn ¼ Met­ze jeder Getrei­de­art. 7) Wer sich wäh­rend des Essens unrein­lich und unor­dent­lich auf­führt oder schlech­te Reden führt, zahlt 3 Sgr. […]”

Die aus die­sen „Ver­ge­hen“ ent­sprin­gen­den Straf­gel­der wur­den in „einer gemein­schaft­li­chen Kas­se gesam­melt und in dem gemein­schaft­li­chen Lohn­buch ein­ge­schrie­ben. Wie das Geld am Jah­res­schluss für die Dre­scher ver­wen­det wer­den“ soll­te, bestimm­te der Unter­neh­mer. Dane­ben ent­hielt die­ser Kon­trakt auch noch Straf­be­stim­mun­gen, deren dar­aus ver­ein­nahm­ten Buß­gel­der allein dem Unter­neh­mer zu gute kamen […]“

Rich­te­ten sich die bis­her genann­ten Unter­drü­ckungs­mit­tel aus­schließ­lich gegen das betriebs­in­te­grier­te Agrar­pro­le­ta­ri­at, so bezog das „Gesetz, betref­fend die Ver­let­zun­gen der Dienst­pflich­ten des Gesin­des und der länd­li­chen Arbei­ter“ vom 24. April 1854, ein typi­sches Pro­dukt der poli­ti­schen Reak­ti­on in Preu­ßen nach 1848, aus­drück­lich auch die Ange­hö­ri­gen der frei­en Land­ar­bei­ter­schaft mit ein, sofern sie sich – gleich ob für Tage- oder Wochen­lohn – „zu bestimm­ten land- und forst­wirt­schaft­li­chen Arbei­ten, wie z.B. Ern­te­ar­bei­ten auf Acker und Wie­se, Melio­ra­ti­ons­ar­bei­ten, Holz­schla­gen usw. ver­dun­gen haben“ (§2d).

Koalitionsverbot

Jun­ker, Groß- und Mit­tel­bau­ern woll­ten damit zwei Haupt­for­men des Kamp­fes des länd­li­chen Pro­le­ta­ri­ats um bes­se­re Lebens- und Arbeits­be­din­gun­gen neu­tra­li­sie­ren: Den Kon­trakt­bruch und den wirt­schaft­li­chen Streik. Kon­trakt­bruch, aber auch schon hart­nä­cki­ger Unge­hor­sam und Wider­spens­tig­keit gegen die Befeh­le der „Herr­schaft“ wur­den danach mit einer Geld­bu­ße „bis zu fünf Talern oder Gefäng­nis bis zu drei Tagen“ bestraft (§1). Und Land­ar­bei­ter, die ihre unmit­tel­ba­ren Aus­beu­ter oder ihre mit den Mit­teln der Poli­zei, der Büro­kra­tie und der Gerich­te die­se Aus­beu­tung sank­tio­nie­ren­de und ver­tei­di­gen­de „Obrig­keit“ zu gewis­sen Hand­lun­gen oder Zuge­ständ­nis­sen dadurch zu bestim­men (such­ten), daß sie die Ein­stel­lung der Arbeit und die Ver­hin­de­rung der­sel­ben bei ein­zel­nen oder bei meh­re­ren Arbeit­ge­bern (ver­ab­re­de­ten), oder zu einer sol­chen Ver­ab­re­dung Ande­re auch nur auf­for­der­ten, hat­ten sogar eine Gefäng­nis­stra­fe bis zu einem Jahr ver­wirkt (§3). Die­ses Gesetz, vor allem das dar­in aus­ge­spro­che­ne Koali­ti­ons­ver­bot, hat natür­lich für Jahr­zehn­te das poli­ti­sche Ver­hal­ten des preu­ßi­schen Agrar­pro­le­ta­ri­ats beeinflusst…“

Quel­le: Aus „Land­ar­bei­ter­le­ben im 19. Jahr­hun­dert, Aka­de­mie-Ver­lag Ber­lin, 1979 (Agrar­mu­se­um Ummen­dorf), S. 133ff 

Einsatz von Kriegsgefangenen für ländliche Arbeiten

Die Krie­ge von 1866 und 1870/71 lie­ßen das land­wirt­schaft­li­che Arbeits­kräf­te­po­ten­ti­al unver­hält­nis­mä­ßig rascher und stär­ker schrump­fen, als es die indus­tri­el­le Ent­wick­lung je ver­mocht hät­te. „Zwar wur­de unterm 21.07.1866 sei­tens des preu­ßi­schen Land­wirt­schafts­mi­nis­ters den Grund­be­sit­zern gestat­tet, „zur frei­wil­li­gen Über­nah­me von länd­li­chen Arbei­ten“ Kriegs­ge­fan­ge­ne ein­zu­set­zen, doch konn­te die­se Mög­lich­keit nur durch einen zusätz­li­chen Kos­ten­auf­wand rea­li­siert werden. […]”

So hat­ten „[…] nach dem vom Kriegs­mi­nis­te­ri­um aus­ge­ar­bei­te­ten und am 30.06.1866 ver­ab­schie­de­ten „Grund­sät­zen für das Ver­fah­ren bei der Beschäf­ti­gung von Kriegs­ge­fan­ge­nen mit länd­li­chen Arbei­ten“  die nutz­nie­ßen­den Grund­be­sit­zer die Kos­ten für „den Trans­port der Gefan­ge­nen […] von und nach der Fes­tung, aus wel­cher sie gestellt wer­den“, zu über­neh­men, fer­ner für deren Ver­pfle­gung und Unter­brin­gung zu sor­gen und schließ­lich „jedem Gefan­ge­nen incl. den die Auf­sicht füh­ren­den Char­gir­ten, eine nach Maß­ga­be der Arbeits­zeit, Oert­lich­keit etc. von der Bezirks-Regie­rung zu norm­iren­de Zula­ge bis zu 7 1/2 Sgr. pro Arbeits­tag“ zu gewäh­ren (§1). Der täg­li­che Ver­pfle­gungs­satz muss­te dabei „in der Regel bestehen aus:

1. Der Brot­por­ti­on von einem Pfund, 12 Loth und
2. Der Vic­tua­li­en-Por­ti­on: 9 Loth Fleisch-Gewicht des rohen Flei­sches – 5 ½ Loth Reis oder 7 Loth ordi­naire Grau­pen resp. Grüt­zen (Hasen‑, Buchweizen‑, Hai­de- oder Gersten-Grütze) […]“

Quel­le: „Land­ar­bei­ter­le­ben im 19. Jahr­hun­dert“, Aka­de­mie-Ver­lag Ber­lin, S. 125

Einführung von Akkordlöhnen

Das für die kapi­ta­lis­ti­sche Pro­duk­ti­ons­wei­se cha­rak­te­ris­ti­sche, wesent­li­che Lohn­sys­tem ist die Geld­löh­nung; dies trifft auch für den agra­ri­schen Bereich zu. Im Unter­su­chungs­ge­biet war das Geld­lohn­sys­tem bereits zu Beginn der 80er Jah­re des 19.Jh. voll durchgesetzt. […]
Die Geld­löh­nung, eben weil sie die unter kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen vor­teil­haf­tes­te Art der Ent­loh­nung dar­stellt, bil­de­te auch eine der grund­le­gen­den Vor­aus­set­zun­gen für den Über­gang zu inten­si­ven Aus­beu­tungs­me­tho­den; denn sie ermög­lich­te den Grund­be­sit­zern die Ein­füh­rung eines Lohn­sys­tems, mit des­sen Hil­fe sie die gewünsch­te Stei­ge­rung der Arbeits­leis­tung erzwin­gen konn­ten. Die­ses Lohn­sys­tem ist das Stück­lohn- bzw. Akkordlohnsystem. […]“

Quel­le: „Land­ar­bei­ter­le­ben im 19. Jahr­hun­dert“, Aka­de­mie-Ver­lag Ber­lin, S. 193/194

In der ers­ten Zeit wur­den ins­be­son­de­re die Gra­be­ar­bei­ten im gro­ßen Umfang im Akkord ausgeführt. […]
Als Akkord­ar­beit ver­brei­tet war in der Pro­vinz Sach­sen seit etwa Mit­te der 40er Jah­re […] vor allem das Abmä­hen des Getrei­des. In Alvens­le­ben z.B. erfolg­te das Abbrin­gen der Win­ter­gers­te für 15 Sgr., das des Som­mer­korn für 5 Sgr.“  und 2 Maß Bier pro Morgen.“

Quel­le: „Land­ar­bei­ter­le­ben im 19. Jahr­hun­dert“, Aka­de­mie-Ver­lag Ber­lin, S. 194/195

Einführung der Dampfmaschine

Zur sel­ben Zeit, als durch die brei­te Anwen­dung des Akkord­lohn­sys­tems sich der Über­gang zur inten­si­ven Aus­beu­tung der Land­ar­bei­ter all­ge­mein und end­gül­tig voll­zog, trat noch ein wei­te­rer, in die glei­che Rich­tung wir­ken­der Fak­tor hin­zu, näm­lich der zuneh­men­de Gebrauch von Maschi­ne­rie. Beson­ders die mit Dampf betrie­be­nen land­wirt­schaft­li­chen Aggre­ga­te, und hier vor allem die Dresch­ma­schi­ne, zwan­gen die Arbei­ter zu einer erheb­li­chen Leis­tungs­stei­ge­rung. „Bei dem Dre­schen mit dem Fle­gel kommt es auf den guten Wil­len der Arbei­ter an“ heißt es in einem 1871 gehal­te­nen und ein Jahr dar­auf in der Zeit­schrift des pro­vin­zi­al­säch­si­schen land­wirt­schaft­li­chen Zen­tral­ver­eins publi­zier­ten „Vor­trag über Dresch­ma­schi­nen“, aber die wil­len­lo­se Maschi­ne arbei­tet fort­wäh­rend gleich­mä­ßig, in der­sel­ben Voll­kom­men­heit und ohne Abnah­me der Kräf­te, wie dies Men­schen­hän­de nicht ermög­li­chen können“.

Quel­le: Aus „Land­ar­bei­ter­le­ben im 19. Jh.“, Aka­de­mie-Ver­lag Ber­lin, S. 199/200

Landarbeiter Fritz Rehbein

Und der Land­ar­bei­ter Franz Reh­bein (1867–1909) schrieb in einer 1911 erst­mals ver­öf­fent­lich­ten Selbst­bio­gra­fie: „Was die Dresch­ma­schi­nen­ar­beit […] betrifft, so ist sie eine der anstren­gends­ten und auf­rei­bends­ten die man sich den­ken kann. Stun­den, nur Stun­den schin­den ist hier die Losung […] Bei der Arbeit geht es „immer fes­te weg“, was der Schin­der­kas­ten nur schlu­cken kann. Der Mensch muss mit der Maschi­ne fort, er wird ihr Skla­ve, wird selbst zum Maschinenteil.“

Quel­le: Reh­bein, Fritz: Das Leben eines Land­ar­bei­ters, Ham­burg, 2001

Existenzminimum und Arbeitsverdienst

Auf Grund­la­ge der „[…] lei­der nur lücken­haf­ten Unter­la­gen berech­ne­te Len­ger­ke 1848/49 für den Regie­rungs­be­zirk Mag­de­burg einen „wahr­schein­li­chen Mit­tel­an­satz des aus­kömm­li­chen Unter­halts­be­darfs einer länd­li­chen Arbei­ter­fa­mi­lie von 5 Per­so­nen“ in Höhe von 106 Rthlr. […] Der land­wirt­schaft­li­che Ver­ein zu Oschers­le­ben nann­te hin­ge­gen ein Mini­mum von 124 ½ Thlr. und nach den Berech­nun­gen des Jeri­chower Ver­eins betrug „die Sum­me aller Aus­ga­ben“ sogar 150 Thlr. […]“
„Im Kreis Oschers­le­ben ver­dien­te  zu die­ser Zeit eine fünf­köp­fi­ge länd­li­che Arbei­ter­fa­mi­lie „unge­fähr 135 Thlr […], der Mann 2 Mona­te hin­durch pro Tag 5 Sgr., 2 Mona­te in der Ern­te pro Tag 10 Sgr. in Akkord­ar­bei­ten, 8 Mona­te dre­sche er und erhiel­te als Lohn den 16ten Scheffel.
Die Frau ver­die­ne ½  Jahr im Tage­lohn pro Tag 4 Sgr., 2 Mona­te in der Ern­te inkl. Kar­tof­fel­ern­te in Akkord pro Tag 7 Sgr.. Kin­der erhiel­ten 2 Sgr. 6 Pf. täg­li­chen Lohn.
Im Kreis Neu­hal­dens­le­ben betrug der täg­li­che Geld­lohn für den Arbei­ter „im Durch­schnitt des Jah­res“ um 1848/49 sogar nur 63 Pf. (= 5 Sgr., drei Pf.) und der Geld­lohn für Arbei­te­rin­nen 41 Pf. (= 3 Sgr., 5 Pf.), was gera­de einen Jah­res­ver­dienst (bei 300 Tagen) von 86 2/3 Tlr. ergibt.
Ähn­lich wie im Kreis Neu­hal­dens­le­ben lagen auch die Lohn­ver­hält­nis­se im Kreis Wanz­le­ben. Im Jah­re 1844 belief sich hier – in der „Mag­de­bur­ger Bör­de“ (Kr. Wanz­le­ben) – der täg­li­che Geld­lohn eines Arbei­ters im Jah­res­durch­schnitt auf 58 Pf. (= 4Sgr., 10 Pf.) und der einer Arbei­te­rin auf 45 Pf. (= 3 Sgr., 9 Pf.), mit­hin der Jah­res­ver­dienst (bei 300 Tagen) auf 85 5/6 Tlr., bei Mit­ar­beit zwei­er Kin­der im Maxi­mum auf 105 5/6 Tlr.“

Eine wei­te­re Mit­tei­lung über das Ver­hält­nis von Exis­tenz­mi­ni­mum und Arbeits­ver­dienst einer länd­li­chen Arbei­ter­fa­mi­lie liegt […] spe­zi­ell für den Kreis Wanz­le­ben für das Jahr 1864 vor. Danach belie­fen sich die jähr­li­chen Mini­mal­aus­ga­ben für den Unter­halt einer 5 köp­fi­gen Arbei­ter­fa­mi­lie, „bestehend aus Mann, Frau und drei Kin­dern“, im Durch­schnitt auf 182 Tlr., wobei im Ein­zel­nen ver­an­schlagt wur­de für

Nah­rung - 100 Tlr.
Woh­nungs­mie­te - 18 Tlr.
Brenn­ma­te­ri­al - 12 Tlr.
Haus­ge­rä­te - 6 Tlr
Abga­ben und Schulgeld - 4 Tlr.
Klei­dung und Wäsche - 42 tlr.

Dem ent­ge­gen stand der Ver­dienst eines Arbei­ters von „wöchent­lich durch­schnitt­lich 2 Thlr. 15 Sgr. = 130 Thlr.“ Sowie von des­sen Frau und Kin­dern „unter gewöhn­li­chen Ver­hält­nis­sen „von „40 – 50 Thlr..“

Dabei wur­den gezahlt

”1.in der Ernd­te bei 16stündiger Arbeit;
a. für einen Mähearbeitstag 30 Sgr.,
b. für einen Männerarbeitstag 15 Sgr.,
c. für einen Frauenarbeitstag 10 Sgr.,
2. außer der Ernd­te­zeit bei 12stündiger Arbeit:
a. für Män­ner 10 Sgr.,
b. für Frau­en 7 ½ Sgr.,
3. im Win­ter (1. Novem­ber bis 1. April) bei 12stündiger Arbeit :
a. für Män­ner 10 Sgr.,
b. für Frau­en 7 ½ Sgr.“

 

Eine fünf­köp­fi­ge länd­li­che Arbei­ter­fa­mi­lie ver­dien­te dem­nach unter Mit­ar­beit der Kin­der, bei einer täg­li­chen Arbeits­zeit von 12 – 16 Stun­den gera­de etwa zwi­schen 170 und 180 Tlr. pro Jahr, das heißt noch nicht ein­mal das exis­ten­ti­el­le Minimum.

Nur die bei­den Sozi­al­grup­pen des betriebs­in­te­grier­ten Agrar­pro­le­ta­ri­ats, die Depu­tat Land­ar­bei­ter und das Gesin­de, und allen­falls die frei­en Land­ar­bei­ter mit Haus- und Par­zel­len­be­sitz ver­moch­ten durch die ihnen noch gezahl­ten Natu­ral­lohn­an­tei­le sowie auf­grund der ihnen pacht­wei­se oder eigen­tüm­lich gehö­ren­den oder vom Grund­be­sit­zer als Teil des Loh­nes über­las­se­nen Acker­stü­cke und in Fol­ge ihrer Mög­lich­kei­ten zur Klein­vieh­hal­tung, ihren Unter­hallt eini­ger­ma­ßen abzu­si­chern oder gar einen knap­pen Über­schuß zu erzie­len. Für die Land­ar­bei­ter des Unter­su­chungs­ge­bie­tes waren also seit 1848, obwohl es damals beson­de­re Not- und Teue­rungs­jah­re waren, hin­sicht­lich ihrer öko­no­mi­schen Lage trotz des mitt­ler­wei­le vor sich gegan­ge­nen gro­ßen wirt­schaft­li­chen Auf­schwun­ges prak­tisch kei­ne Bes­se­rung eingetreten.“

Quel­le: Aus „Land­ar­bei­ter­le­ben im 19. Jahr­hun­dert“., Aka­de­mie-Ver­lag Ber­lin, S. 202ff.

Soziale Lage bei Krankheit und Alter

Am stärks­ten hat­ten die alten und inva­li­den Arbei­ter, soweit sie nicht von Kin­dern oder Ver­wand­ten wenigs­tens ein Mini­mum an Unter­stüt­zung erhiel­ten, unter die­ser Bedrü­ckung zu lei­den.“ „Beson­ders trau­rig ist es mit den Wit­wen bestellt“ schreibt Bor­chert, „von denen der größ­te Teil […] arm sind. Frü­her konn­ten die­sel­ben im Win­ter Spin­nen; sie erhiel­ten täg­lich nur 10 Pf., aber hat­ten ein war­mes Zim­mer und Essen […] Oft habe ich  gefragt: Wie machen es die Wit­wen den Win­ter über? Die ältes­ten und ver­stän­digs­ten Män­ner des Dor­fes haben mir geant­wor­tet: „Sie müs­sen sich durch­hun­gern. […]“  Und wei­ter: „Trau­rig ist es, wenn der Arbei­ter krank wird.“ „Als mein Mann vor zwei Jah­ren sechs Wochen lang krank war,“ sag­te eine ordent­li­che Arbei­ter­frau, „da muß­ten wir 45 M. an den Doc­tor und 35 M. an den Apo­the­ker zah­len. Das hast uns weit zurück­ge­bracht.“ – Noch trau­ri­ger aber ist es, wenn der Arbei­ter alt wird. Wenn der Arbei­ter 20 Jah­re lang und noch län­ger auf dem Gut gear­bei­tet hat und er wird nun schwach, dann wird ihm der Lohn mehr und mehr  abge­zo­gen und zuletzt muss er aus dem einen oder ande­rem Grun­de gehen. Es ist dies nicht Aus­nah­me, son­dern Aus­nah­me ist es, wenn aus Wohl­tä­tig­keits­grün­den für den einen oder ande­ren alten Arbei­ter gesorgt wird. Eine gesetz­li­che Ver­pflich­tung hat das Gut nicht, denn von den Arbei­tern, die auf dem Gute arbei­ten, gehört nur eine gerin­ge Zahl zur Guts­ge­mein­de. Die gesetz­li­che Ver­pflich­tung hat die Dorf­ge­mein­de. Die­se aber fühlt es als ein Unrecht, daß sie für die im Diens­te des Gutes erkrank­ten, ver­un­glück­ten und alt gewor­de­nen Arbei­ter sor­gen soll und tuth nichts oder nur das, wozu sie der Land­rath zwingt. […]“

Quel­le: Aus „Land­ar­bei­ter­le­ben im 19. Jahr­hun­dert“., Aka­de­mie-Ver­lag Ber­lin, S. 202ff.