Agrarpolitik
Landarbeiterschutzgesetz (Ost)
Bearbeitet von Christian KochAm 12. Dezember 1949 beschloss die provisorische Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik das Gesetz zum Schutze der Arbeitskraft der in der Landwirtschaft Beschäftigten. In einer Broschüre „Das Landarbeiterschutzgesetz und das Leben des Landarbeiters von gestern und heute“, veröffentlicht und herausgegeben vom Zentralvorstand der Gewerkschaft Landwirtschaft und Forst im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, werden die Worte an alle Landarbeiterinnen und Landarbeiter gerichtet und sie mit dem Wortlaut des Gesetzes bekannt gemacht.
Gewerkschaftsvorsitzender wendet sich an alle Landarbeiter
Der damalige Vorsitzende der Gewerkschaft Land- und Forstwirtschaft, Zentralvorstand, Kollege Schenk, formulierte: „[…] einer der ersten Schritte unserer wahren Volksregierung war es, Dir, Kollege, zu helfen. Es wurde das Landarbeiterschutzgesetz verabschiedet und trat am 1. Januar 1950 in Kraft. Dieses Dein Gesetz ist mit der demokratischen Bodenreform zum Hebel, zur Festigung und zur Vertiefung der antifaschistischen-demokratischen Ordnung auf dem Lande geworden.“ Allerdings schränkte der Verfasser ein: „Heute, nach zweijährigem Bestehen dieses für uns so bedeutsamen Gesetzes, das uns alle Möglichkeiten besserer Arbeitsbedingungen gibt, müssen wir feststellen, dass auch wir als Gewerkschaft diesem Gesetz, das wirklich unser Gesetz ist, zu wenig Beachtung geschenkt haben. Es gilt also, eine aktivere Arbeit zu entwickeln. Das Gesetz restlos zu verwirklichen, heißt, das Du und wir alle es genau kennen. Durch deine Mitarbeit in Deiner Gewerkschaft Land- und Forst bei der Durchführung der Hofbegehungen wirst Du damit beitragen, ein Leben in Frieden und Wohlstand aufzubauen. […]“
Quelle: Broschüre „Das Landarbeiterschutzgesetz und das Leben des Landarbeiters von gestern und heute“ Zentralvorstand der Gewerkschaft Landwirtschaft und Forst im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, S.3Gewerkschaft legt Regierung Gesetzentwurf vor
In den Erläuterungen zum Gesetz wird u.a. ausgeführt: „Stell Dir vor, noch im Jahre 1928 hat man in Tilsit/Memel den sogenannten Gesindemarkt abgehalten, ein richtiger Sklavenhandel, wie wir ihn aus den Schmökern über den „wilden Westen“ kennen. Männer, Frauen und Jugendliche wurden wie eine Ware betrachtet, die Muskeln befühlt, Beine und Arme betastet und damit die Arbeitskraft eingeschätzt. […]
Ganz „gesetzlich“ wurde dann mit Dir noch ein „Mietsvertrag“ abgeschlossen […] Das man Dich wie ein Stück Vieh behandeln konnte, damit wurde 1945 endgültig Schluss gemacht. […] Die Hochburgen der Junker wurden beseitigt, und der Grund und Boden ging durch die demokratische Bodenreform in den Besitz des Volkes über. […] Sofort wurde auch Deine Gewerkschaft gegründet, die Dich bei der Verbesserung Deines Lebens unterstützte. 1946 schlossen wir als Industriegewerkschaften Land- und Forstwirtschaft die ersten Tarifverträge ab, die vorläufig einen besseren Lohn, verbesserte Arbeitsbedingungen schufen. Du weißt selbst, dass Du erst damals vielleicht Deinen ersten Urlaub erhalten konntest, dass Du genau wie der Industriearbeiter Dein Krankengeld erhalten hast. Trotzdem aber waren die Verhältnisse auf dem Dorfe weit weit hinter denen der Stadt zurück. Es war also doch noch nicht ganz das Richtige, das hast Du auch auf vielen Versammlungen zum Ausdruck gebracht. Du hattest Recht, denn die Tarifverträge wiesen noch große Lücken auf. Die alten Verhältnisse blieben größtenteils dieselben oder wurden sehr mangelhaft abgeändert.
Deinen bisherigen Kampf um bessere Lebensverhältnisse, den wir gemeinsam geführt haben, hat Deine Gewerkschaft Rechnung getragen und der Regierung den Gesetzentwurf vorgelegt, in dem Deine Rechte enthalten sind. Unsere Regierung hat diesen Forderungen entsprechend gehandelt und das Landarbeiterschutzgesetz durch die Volkskammer beschließen lassen und in Kraft gesetzt.“
Quelle: Broschüre „Das Landarbeiterschutzgesetz und das Leben des Landarbeiters von gestern und heute“ Zentralvorstand der Gewerkschaft Landwirtschaft und Forst im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, S. 5
In der Folge wird darauf eingegangen, wie die sogenannten Gesindeordnungen, von denen es 44 in Deutschland gab, die Unterdrückung der Landarbeiter gesetzlich festgelegt hatten.
Sie wird wie folgt beschrieben: „Der Landarbeiter hatte kein Recht, er kannte nur Pflichten. Wenn er sie verletzt hatte, kostete es ihn hohe Geldstrafen, die er nicht bezahlen konnte und so in dauernde Abhängigkeit vom Junker geriet. Meist wanderte er ins Gefängnis oder Arbeitshaus. Der Junker oder der Großgrundbesitzer war gleichzeitig der Gerichtsherr über Dich, der über Dein Wohl und Wehe zu entscheiden hatte. […] Und was hast Du bei dieser Schufterei verdient? Dreißig bis fünfzig Pfennige pro Tag. Na, rechnen wir noch das Deputat dazu, dann hast Du im Durchschnitt einen Lohn von 1 Mark bis 1,20 Mark verdient. Das bei einer Arbeitszeit von 14 bis 16 Stunden täglich.“
Quelle: Broschüre „Das Landarbeiterschutzgesetz und das Leben des Landarbeiters von gestern und heute“ Zentralvorstand der Gewerkschaft Landwirtschaft und Forst im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, S. 6Anschließend wird auf den 1909 gegründeten Land- und Forstarbeiterverband verwiesen, der trotz aller Fortschritte die Bedingungen noch nicht entscheidend verbessern konnte, weil ja z.B. der Streik weiterhin gesetzlich unterdrückt wurde. Auf Arbeitsverweigerung stand nach wie vor schwere Gefängnisstrafe.
Keine Kündigung ohne Zustimmung der Gewerkschaft
Im weiteren Verlauf des Textes der Broschüre zum Landarbeiterschutzgesetz werden die Vorteile des Gesetzes für die Landarbeiter geschildert. So wird z.B. auf das erstmals vorhandene Kündigungsrecht Bezug genommen. Der Bauer darf nur von März bis September kündigen. Dagegen kann der Arbeitnehmer, wenn er länger als drei Monate im Betrieb tätig war, jeden Monat zum Monatsschluß kündigen. Ist er weniger als drei Monate im Betrieb, so kann der Arbeitnehmer bei einer Kündigungsfrist von 14 Tagen sein Arbeitsverhältnis lösen!
„Wichtig für Dich ist noch, das Du weißt, dass der Bauer oder Betriebsinhaber, wenn er kündigt, dass nur mit Zustimmung unserer Gewerkschaft Land- und Forst tun kann.“
Quelle: Broschüre „Das Landarbeiterschutzgesetz und das Leben des Landarbeiters von gestern und heute“ Zentralvorstand der Gewerkschaft Landwirtschaft und Forst im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, S. 9Mitbestimmungsrecht
Es wird darauf verwiesen, dass auch ein Mitbestimmungsrecht im Betrieb besteht, das heißt also, das sich der Arbeitnehmer dafür interessieren und kontrollieren soll, was der Bauer anbaut, wie er den Boden bearbeitet, ob er gutes Saatgut verwendet, was er abzuliefern hat und überhaupt, ob er sein Soll erfüllt. „Jahrzehntelang hat die Arbeiterklasse in harten Kämpfen die 48 h‑Woche errungen. Endlich ist es uns gelungen, durch diese Kraft auch in der Landwirtschaft, durch das Landarbeiterschutzgesetz, die 48 h‑Woche einzuführen. Fordere daher, dass auch Dein Bauer diese Errungenschaft der Arbeiterklasse einhält. Und frag, wie es mit den Überstunden ist. Auch die müssen mit den gesetzlichen Zuschlägen von 25 %, an Sonntagen mit 50 % und Deinen Feiertagen mit 100 % bezahlt werden. Im Übrigen sind nur 300 Überstunden im Jahr erlaubt.“
Quelle: Broschüre „Das Landarbeiterschutzgesetz und das Leben des Landarbeiters von gestern und heute“ Zentralvorstand der Gewerkschaft Landwirtschaft und Forst im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, S. 9Frauen und Jugendliche — gleicher Lohn für gleiche Arbeit
Im Weiteren wird ausgeführt, dass zum ersten Mal im Gesetz festgeschrieben ist, dass Frauen und Jugendliche bei gleicher Leistung auch der gleiche Lohn zusteht.
„Waren früher Deine Kinder die billigsten Arbeitskräfte des „Herren“, so hat unsere Regierung heute durch das Jugendschutzgesetz die Kinderarbeit verboten und für die Jugendlichen eine kürzere Arbeitszeit – bis zu 16 Jahren 7 Stunden und bis zu 18 Jahren 7,5 Stunden täglich – festgelegt. Die Jugend hat heute die größten Entwicklungsmöglichkeiten. Sie ist nicht mehr gezwungen, wie Du früher, wieder beim Junker zu arbeiten. Je nach ihren Fähigkeiten können auch Deine Kinder an den Arbeiter- und Bauernfakultäten studieren oder jeden anderen erdenklichen Beruf ergreifen. Sie können Arzt, Ingenieur, Agronom oder Wissenschaftler werden.“
Quelle: Broschüre „Das Landarbeiterschutzgesetz und das Leben des Landarbeiters von gestern und heute“ Zentralvorstand der Gewerkschaft Landwirtschaft und Forst im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, S. 10Anspruch auf Urlaub
„Der Urlaub ist ein fester Bestandteil unseres Landarbeiterschutzgesetzes. Wie die Industriearbeiter, so hast auch Du die Möglichkeit, durch den Feriendienst der Gewerkschaft Land- und Forst Deinen Urlaub in den schönsten Gegenden unserer deutschen Heimat zu verbringen, wobei Dich Deine Gewerkschaft auch finanziell unterstützt.
Die Jugendlichen erhalten ihre 18 bzw. 21 Tage und Du als Erwachsener 12 Arbeitstage im Jahr. Diesen solltest Du nicht nur im Winter, sondern auch im Sommer nehmen. Deine Gewerkschaftsleitung wird Dich dabei immer unterstützen.“
Deputat abgeschafft
„Mit unserem Tarifvertrag und dem Landarbeiterschutzgesetz, welche uns feste Löhne garantiert, ist auch das frühere „Deputat“ abgeschafft. Das „Deputat“ war doch nur ein ganz gemeines Mittel, das Ausbeutung verschleiern sollte, aber in Wahrheit Deine Abhängigkeit zum „Herrn“ vertiefte. […] heute bezahlen wir Landarbeiter unsere Lebensmittel von unserer Lohntüte, und der Bauer ist nicht berechtigt, das Geld einfach abzuziehen. Die Lebensmittel sind hier nach den Soll-Festpreisen zu geben. Für ledige Kolleginnen und Kollegen, die in Kost und Logis sind, können täglich 1,50 Mark Verpflegung und 0,50 Mark für Wohnung verlangt werden.“
Quelle: Broschüre „Das Landarbeiterschutzgesetz und das Leben des Landarbeiters von gestern und heute“ Zentralvorstand der Gewerkschaft Landwirtschaft und Forst im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, S. 10/11Krankengeld
„Wie sieht es bei Dir heute aus, wenn Du erkrankt bist oder auf dem Hofe einen Unfall erlitten hast? Dann darfst Du nicht, wie früher, als Krüppel vom Hof gejagt oder als Kranker aus dem Bett geholt werden; heute darfst Du im Krankheitsfalle nicht zur Arbeit gehen und trotzdem braucht Deine Familie nicht zu hungern, denn die Sozialversicherung die jetzt vom FDGB übernommen wurde, zahlt Dir Krankengeld“
Quelle: Broschüre „Das Landarbeiterschutzgesetz und das Leben des Landarbeiters von gestern und heute“ Zentralvorstand der Gewerkschaft Landwirtschaft und Forst im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, S. 11
In der Folge sind Auszüge aus dem Gesetz „Zum Schutze der Arbeitskraft der in der Landwirtschaft Beschäftigten“ (Landarbeiterschutzgesetz) vom 12. Dezember 1949 einschließlich der Begründung abgedruckt.
Quelle: Zentralvorstand der Gewerkschaft Landwirtschaft und Forst im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB), 1949